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bookPublikation von Ela Thole
Die Göttliche Shakti

Ein Philosophiebuch für (angehende) YogalehrerInnen – Fundiert und mit zahlreichen Abbildungen – Eine faszinierende Reise zu den Göttinnen Indiens

Die Shakti als weibliche dynamische Kraft des Göttlichen repräsentiert nicht nur eine anbetungswürdige Gottheit oder eine abstrakte Philosophie Indiens, sondern eine intensive Energie, die unmittelbar erfahrbar ist. Das Buch beschreibt verschiedene Ebenen und Formen der Shakti-Kraft, gibt Einblicke in den Stellenwert der Shakti im Tantrismus und im Integralen Yoga und lässt erspüren, mit welcher Begeisterung, aber auch mit welchem Respekt die Shakti in ihren zahlreichen Facetten verehrt wird. Eine Auswahl an mythologischen Geschichten und Legenden über die Shakti führt in die faszinierende Vielfalt der indischen Götterwelt ein.

Annäherung an die Shakti

Shakti ist ein mysteriöses und machtvolles Zauberwort der indischen Tradition. Wir hören es und befinden uns, getragen von seiner magischen Klangschwingung, sofort in einem uralten Bereich des Geheimnisvollen und Urweiblichen. Rot ist hier die dominierende Farbe, die uns im inneren Erleben an tief verborgene Räume heranführt, in denen sich mystische Bilder und schlangenumspielte Symbole erahnen lassen. Vage Erinnerungen an archaische Göttinnen mögen aufsteigen und das Empfinden von strömender Kraft − viel Kraft. Denn Energie oder Kraft ist das eigentliche Wesen der Shakti, ihr ureigenstes Sein.

Diese Shakti-Kraft, ohne die wir keinen Finger rühren und keinen Gedanken fassen können, geht weit über unseren individuellen Radius hinaus und bettet uns in viel größere Dimensionen und Zusammenhänge ein – besteht doch unser gesamter Kosmos aus nichts anderem als Energie. Diese atemberaubende Erkenntnis, die zu Beginn des letzten Jahrhunderts unser Weltbild grundlegend veränderte, löst heute in der modernen Physik die Grenze zwischen Energie und Materie mehr und mehr auf. Es handelt sich um eine bahnbrechende Prämisse, die in vielen Bereichen zu neuen Ansätzen und Fragestellungen ermutigt hat: Ist es möglich, dass sich die mannigfaltigen Phänomene der Welt auf die Existenz einer einzigen Energie zurückführen lassen? Dass auch die Materie nur eine Ausdrucksform ihrer hochdynamischen Bewegung ist? Und ihre scheinbare Festigkeit nichts anderes als Illusion? Was ist es, woraus diese wirbelnde Weltenmasse an Energie besteht? Woher kommt sie eigentlich? Was ist sie in ihrer innersten Essenz? Was liegt ihr zugrunde?

Im spirituellen Leben Indiens werden all diese Fragen, mit denen sich heute zum Beispiel quantenphysikalische Ansätze beschäftigen, schon seit Jahrtausenden beleuchtet, und verschiedene Richtungen der hinduistischen Philosophie haben schon lange Antworten darauf gefunden − allerdings nicht im Rahmen naturwissenschaftlich abgesicherter Forschungsmethoden und Erklärungsmodelle, sondern durch Erkenntnisprozesse, die auf innerer Erfahrung beruhen. Ihre Ansätze finden einen Ausdruck in den frühen Schriften des Veda und Vedanta und in einer Gruppe von jüngeren Texten, die als Tantras bezeichnet werden. Ihnen zufolge lassen sich Ursprung, Mannigfaltigkeit, Beschaffenheit, Erhaltung, Wandel und Auflösung der Schöpfung auf ein übergeordnetes Bewusstseinsprinzip zurückführen, das im Vedanta das “Absolute Brahman” und in den Tantras “Shakti” genannt wird. Wir können uns diese beiden Begriffe vorstellen, wie die zwei Seiten einer Münze.

Das Sanskritwort Shakti bedeutet “Energie” oder “Macht” und bezeichnet das Absolute Brahman in seinem Kraftaspekt. Es ist ein machtvoller Begriff, dem mit tiefer Ehrfurcht begegnet wird, da er als Klangkörper einer unermesslichen mütterlichen Urkraft gilt, jener gewaltigen Energie, die alle universellen Erscheinungen konzipiert, hervorbringt, bewegt, belebt und am Ende eines Daseinszyklus wieder hinwegrafft. Die “substanzlose Brahman-Substanz”, in welcher und mit welcher all dies geschieht, ist zugleich ihr Bauplatz, ihr Baumaterial und der Bauherr, in dessen Namen sie tätig ist. Wir können uns diesem Brahman, das durch Worte nicht erfassbar ist, nur über annähernde Begriffe wie das Absolute, das Selbst, jenes Eine, das Unbeschreibliche, die höchste Wahrheit, die absolute Wirklichkeit, das Göttliche, Gott oder Sat-Chit-Ananda annähern. Das eigentliche Erkennen geschieht über den Weg der direkten Erfahrung.

Vergleichbar etwa mit einer reifen Frucht, deren Geschmack wir – auch wenn er uns schon mit treffenden Worten beschrieben wurde – erst wirklich kennen, wenn wir selber hineingebissen haben. Brahman ist reines, allumfassendes, essenzielles, in-sich-ruhendes, uneingeschränktes, immerwährendes Bewusstsein, das in keiner Weise vergleichbar ist mit unserem Mentalbewusstsein. Solange wir noch nicht tiefer in unser Bewusstsein, also zum Geschmack der Frucht, vorgedrungen sind, scheint die mentale Ebene gleichbedeutend mit dem Bewusstsein zu sein. Erst wenn wir im Prozess des inneren Wachstums mehr und mehr von uns und der Welt “erschmeckt” haben, können wir unterschiedliche Arten, Abstufungen und Ausprägungen von Bewusstsein wahrnehmen.

Brahman ist als höchste Bewusstseinsstufe unsere ultimative Wirklichkeit, die sich in der Erfahrung spirituell hochentwickelter Menschen als unvergängliches Sein (Sat) offenbart, das gleichzeitig Maximal-Bewusstsein (Chit) und höchstmögliche Freude oder Seligkeit (Ananda) ist, woraus sich die oft verwendete Umschreibung Sat-Chit-Ananda ableitet. Es ist der Bewusstseinsaspekt dieser höchsten Wirklichkeit, dem die Shakti als Wirkkraft zur Seite steht, denn er äußert sich in zwei unterschiedlichen Ausprägungen: als absolutes, selbstseiendes und selbstleuchtendes Bewusstsein (Chit) und als die Macht dieses absoluten, selbstseienden Bewusstseins (Chit-Shakti). Mit anderen Worten: Das Absolute Bewusstsein ist auch Absolute Macht. Und diese Absolute Macht ist die Shakti.

Von der Shakti und ihrem Gemahl

Die Mythologie berichtet, dass Shaktis größte Herausforderung in dem unberechenbaren Wesen ihres Gemahls lag, der keine Ausgewogenheit kannte, sondern der, während die Zeit durch die Endlichkeit der Äonen schritt, mit unregelmäßiger Regelmäßigkeit zwischen den Extremen von Ekstase und Askese hin- und herpendelte. War seine Aufmerksamkeit nach außen gerichtet, wurde er Shaktis vollkommener Schönheit gewahr. Dann warf er sich in einem Ausbruch innigsten Verlangens schonungslos und selbstvergessen in ihre Weltenarme und verströmte sich im Spiel ihrer unzähligen Formen.

Konzentrierte sich sein Gewahrsein wieder ausschließlich auf sich selbst, zog er sich in die eisige Einsamkeit einer weltvergessenen und entbehrungsreichen Versenkung zurück. Sein ganzes Sein wurde zu einer lodernden Flamme der Entsagung, die alles verzehrte, was ihm zu nahe kam. In dieser Phase stürzte Shakti dann unweigerlich in den brennenden Schmerz einer unerfüllten Liebessehnsucht und verlangte ihr eine unerschöpfliche Geduld ab. Das göttliche Paar brauchte zwei Ehen, um zwischen den beiden Polen von Shiva zu einem gemeinsamen Weg zu finden.

Mythologie: Die ekstatische Liebe von Shiva und Sati

Wie viele indische Legenden beginnt auch die Liebesgeschichte von Shiva und Shakti mit einem Problem. Ein mächtiger Dämon, der große Asura Taraka, hatte sich aus dem Schatten der Welt erhoben. Er bedrohte die Schöpfung, und getrieben von einem unersättlichen Verlangen nach Macht drang er von Jahr zu Jahr weiter in die Gefilde der Götter und Menschen ein. Nachdem die Gottheiten vergeblich versucht hatten, ihn zu vertreiben, wurde ihnen von einem weisen Seher prophezeit, dass nur ein Sohn von Shiva und Shakti als göttlicher Krieger die Kraft aufbringen würde, den grausamen Eindringling zu besiegen. Die Götter versammelten sich und beschlossen, darüber mit Shiva zu sprechen. Dieser befand sich allerdings gerade in einer seiner andauernden asketischen Phasen und war für ihre Worte nicht zugänglich. Wieder und wieder flehten die Götter ihn an, ihnen Gehör zu schenken.

Nur widerwillig tauchte er schließlich aus seiner Versenkung auf und hörte sich ihr Anliegen an, aber machte ihnen wenig Hoffnung. “Wer will mich denn schon ehelichen?”, fragte er. “Nennt mir nur eine Frau im gesamten Universum, die mein Tapas, das verzehrende Feuer meiner Askese, aufnehmen kann, ohne daran zu verbrennen, und ich werde sie heiraten.” Und er glitt wieder in die einsamen Regionen seiner meditativen Versenkung zurück.

Die Götter, die seinen Worten atemlos gelauscht hatten, lächelten weise und wandten sich umgehend an seine Shakti, die tatenlos in der formlosen Allweite ihres Gefährten ruhte. “Göttliche Mutter”, beteten sie, “öffne uns dein Herz in Mitgefühl.” Sie erklärten ihr die bedrohliche Situation und berichteten von der Prophezeiung, die sie erhalten hatten. Dann erbaten sie von ihr, dass sie sich im kosmischen Geschehen in Gestalt einer Frau verkörpern möge, um gemeinsam mit Shiva den Sohn zu zeugen, dessen Kraft das Universum von dem Dämon Taraka befreien würde. In ihrem großen Mitgefühl für die Schöpfung stimmte die Shakti zu. “Vertraut mir”, sagte sie, “ich werde den Einsamen aus seiner hohen Transzendenz zurück in die Wonnen der Erde locken.” Und kurz darauf wurde sie im Norden Indiens als Tochter des stolzen Königs Daksha geboren.